Rassehundezucht

von Sandra Lindberg4. November 2019
Balu

Ein Kommentar

Vor ca. 25 Jahren habe ich eine Dokumentation über eine Rassehunde Ausstellung im Fernsehen gesehen. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie affig ich das fand. Frisch frisierte Pudel, die im Kreis ihren Besitzern hinterher gelaufen sind. Afghanen, deren Besitzer einen halben Nervenzusammenbruch bekamen, weil sich ihr Hund geschüttelt hat und die stundenlang gekämmte Frisur in Unordnung gebracht hat. Die Menschen habe ich belächelt, die Hunde haben mir irgendwie leid getan. Damals gehörte ich sehr entschlossen zu der Gruppe von Menschen, die Rassehunde überflüssig fanden und Züchtern reine Profitgier unterstellt haben. Ich war überzeugt, dass Mischlinge die besseren und vor allem gesünderen Hunde sind und ich war der Meinung, dass ein anständiger Mensch sich einen Hund aus dem Tierheim holen sollte. 

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Richten eines Shar Peis

Im Laufe der Jahre sind bei mir einige dieser starren Sichtweisen verschwunden und inzwischen sehe ich die Rassehundezucht mit anderen, wenn auch mit sehr kritischen, Augen. Rassehundezucht per se ist ja eher eine moderne Erfindung der Menschen. Wurden früher Hunde ausschliesslich nach ihrem Gebrauchszweck und Nutzen gezüchtet, könnte man beim heutigen Besuch einer Hundeausstellung glauben, dass es nur noch um die Optik der Hunde, nicht aber um ihre Funktionsfähigkeit geht. 

Was ist Rassehundezucht?

Wozu ist also diese ganze Rassehundezucht gut? Eine mir bekannte Züchterin sagte mir vor kurzem, dass es bei der Rassehundezucht vor allem um eins gehen sollte: Erhalten, Gestalten und Verbessern. Damit wir das erhalten, was wir haben und was uns der Rassestandard vorgibt, um nicht neue eigene Kreationen zu erschaffen. Mir hat diese Aussage gut gefallen, aber sie hat mich auch sehr nachdenklich gemacht. Haben wir Menschen das gemacht mit "unserer" Rasse, dem Shar Pei? Haben wir sie erhalten, sie gestaltet und sie verbessert? Ich persönlich glaube, dass wir sie zwar erhalten und auch etwas gestaltet haben, aber verbessert? Das wohl eher nicht. 

Ich habe das Glück, beide Welten zu kennen, die Welt der chinesischen Shar Peis in China und die der Shar Peis in Europa und anderen westlichen Ländern. Ich kenne auch viele Züchter aus beiden Welten und tausche mich mit ihnen aus. Am Ende habe ich festgestellt, es gibt überall schwarze Schafe und es gibt überall auch die, die sich bemühen, das beste für die Rasse zu tun. Was aber ist denn das Beste für eine Rasse? Optisch korrektes Aussehen nach dem Rassestandard? Aufrechterhaltung der Funktionalität? Gesundheit? Kann man das alles miteinander vereinen? Das kann man sicherlich, aber es erfordert eine sehr hohe Motivation eines jeden Züchters, die Bereitschaft ständig dazuzulernen und Konsequenzen zu ziehen mit Hilfe von neu Erlerntem. 

Die FCI

Die Fédération Cynologique Internationale, kurz FCI, ist der größte kynologische Dachverband der Welt. Sie wurde 1911 mit dem Ziel gegründet, die Kynologie und die Rassehundezucht bei Bedarf in allen Belangen zu unterstützen und zu schützen. Die drei anderen großen Dachverbände neben der FCI sind der britische Kennel Club (KC), der American Kennel Club (AKC) und der Canadian Kennel Club (CKC). Diese vier Verbände erkennen ihre Registrierungen gegenseitig an, soweit die entsprechenden Rassen anerkannt sind, und haben Kooperationsabkommen geschlossen. Die FCI umfasst zur Zeit 99 Mitglieds- und Partnerländer, deren Landesverband Mitglied der FCI ist. Die internationalen Zuchtstrategien der FCI haben ein übergeordnetes Zuchtziel festgelegt, dessen Ausführung und Überprüfung den einzelnen Landesverbänden, bzw, wenn vorhand, den Rasseclubs unterliegt. 

Auch wenn diese Zuchtstrategien gut durchdacht und klar formuliert sind, können sie aber aufgrund der grossen Anzahl der Mitgliedsstaaten, unzähliger Rassehundeclubs und der Vielzahl der verschiedenen anerkannten Hunderassen nie genau kontrolliert oder überprüft werden. Schlussendlich liegt es an der Seriösität und Gewissenhaftigkeit jedes einzelnen Züchters und der einzelnen Rassehundeclubs, die Zuchtstrategien zu kennen und gewissenhaft in der Zucht umzusetzen. 

Zucht

Seriöse Zucht beinhaltet sehr viele Faktoren und sehr viel nötiges Wissen. Ein wichtiger Punkt für jeden Züchter sollte ein klar formuliertes Zuchtziel sein. Dieses Zuchtziel sollte aber nicht nur einmal aufgeschrieben werden und dann in Vergessenheit geraten. Es sollte jedem Züchter dazu dienen, sich selbst zu überprüfen und seine eigene Zucht kritisch zu hinterfragen. Stimmt die eigene Zucht nicht mehr mit dem Zuchtziel überein, dann sollte man entsprechende Konsequenzen ziehen. Das wäre natürlich der Idealfall in einer Welt, wo die Hunde wirklich an erster Stelle der Zucht stehen. 

Der Punkt, der mich in der Rassehundezucht am meisten stört, ist das "Schönreden" bei einzelnen Züchtern. Dies geht oft einher mit einer Missinterpretation des Rassestandards, der dann dazu genutzt wird, die eigenen Kreationen zu rechtfertigen. Wenn es nur um die Optik der Hunde geht, dann wäre das ja noch fast tolerabel. Aber wenn wir anfangen, Dinge im Gesundheitsbereich der Hunde schön zu reden, dann ist dies ein grosses Problem, unter dem die Hunde schlussendlich leiden. 

Verständnis

Ein für mich sehr wichtiger Punkt in der Rassehundezucht ist das Verständnis über die Rasse. Beim Shar Pei gestaltet sich aber genau dieser Punkt oft etwas schwieriger. Vieles mag daran liegen, dass das Ursprungsland in den letzten 50 Jahren keinerlei Rolle gespielt hat für die Züchter der Rasse in der Welt. Unser Wissen über die Rasse in China und ihre Zucht dort war sehr limitiert. Mehr wissen wir jedoch über die Geschichte der Rasse in Hong Kong. Dank Menschen wie Matgo Law wissen wir über den allgemeinen Zustand der Rasse, als er mit ihr in Kontakt kam, in den 60er Jahren. Wir wissen Bescheid über die Anfänge der Rassezucht beim Shar Pei dort und über das Entstehen des ersten Rassestandards. Seit wir das Internet und Soziale Medien haben, konnten sich noch viel mehr Informationen in der Welt verbreiten. Doch wie in allen Bereichen des Lebens entsprechen nicht alle Informationen die wir im Internet finden können den Tatsachen. Ein Hinterfragen der Quellen ist also auch hier sehr wichtig. Und schon sind wir an der nächsten Hürde: wie hinterfragt man Informationen aus einem Land, welches sehr weit weg ist und dessen Sprache und Kultur so anders sind als die Unsere? Der Einfachheit halber wurden, was die ursprünglichen Hunde aus China angeht, einfach die Informationen einiger Züchter aus Hong Kong genommen und als korrekte Information betrachtet. Denn die müssen es ja wissen, oder? Aber was machen diese ganzen Informationen, die im Internet über unsere Rasse kursieren, mit uns? Sie schaffen ein falsches Verständnis von der Rasse. Und sie dienen zur Rechtfertigung fehlerhafter Hunde und der Zucht mit ihnen. 

Verantwortung

Und das genau ist der Punkt, wo Rassehundezucht so wichtig ist und seriöse Züchter in der Verantwortung stehen. Sie dient der Erhaltung des korrekten Typs einer Rasse, lässt dabei aber, je nach Rasse, noch individuellen Spielraum. Rassestandards wurden entwickelt, um die rassetypischen Charakteristika zu beschreiben, die jede einzelne Rasse von anderen unterscheidet.

Jixiang
WDS in Shanghai

Bevor Rassestandards festgelegt und Hunde in erster Linie aus funktionalen Gründen gezüchtet wurden, wurde auf Reinrassigkeit nicht viel Wert gelegt. Es ging einzig um die Funktionaltät der Hunde. Genauso war es natürlich auch beim Shar Pei in China. Hunde die gute Jagdqualitäten hatten, wurden miteinander verpaart, um weitere Hunde mit dieser Qualität zu erhalten. Das gleiche galt für Wachhunde und leider auch für Hunde, die für Hundekämpfe gezüchtet wurden. Die Funktionalität hatte einen höheren Stellenwert als die Reinrassigkeit. 

Züchter

Genauso wie ich chinesische Züchter kenne, denen Reinrassigkeit mit den korrekten rassetypischen Merkmalen egal ist, weil die Hunde einem bestimmten Zweck dienen sollen, so gibt es auch bei uns im Westen Züchter, denen Rassestandards ganz egal sind und die eigene neue Kreationen erschaffen. Der Grossteil der Züchter hier und dort hat aber das Wohl der Rasse im Sinne und bemüht sich, korrekte Hunde zu züchten, die dem Rassestandard entsprechen. 

Erkenntnis

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Richten eines Shar Pei

All dies ging mir durch den Kopf, als ich vor ein paar Tagen eine Hundeshow besuchte und mir im Kreis laufende Shar Peis ansah. Und auch wenn ich das Prozedere von Hundeshows immer noch sehr irritierend finde, so weiss ich inzwischen, warum FCI Hundeshows so wichtig sind. Ein Richter, der den Standard und die Rasse kennt und versteht, gibt den Züchtern mit seiner Beruteilung das beste Feedback, was ein Züchter bekommen kann. Eine professionelle, unabhängige Bewertung über das gesamte Erscheinungsbild des Hundes. Am Ende geht es um die Ausgewogenheit des Hundes. Den perfekten Hund wird es so gut wie nie geben. Aber es wird immer ausgewogene Hunde geben, wo das Gesamtbild und alle wichtigen Charakteristika stimmig sind. Und dazu ist Rassehundezucht gut. Dass wir diese einzigartigen Charakteristika erhalten, gestalten und verbessern.